GROTESK #3
Was einst noch C.R.E.A.M. (Cash Rules Everything Around Me) war, wurde mittlerweile zu D.R.E.A.M. - (Design Rules Everything Around Me). Damals nicht wegen Geldproblemen, sondern weil C.R.E.A.M. ein Song der Rap-Gruppe Wu-Tang Clan ist, die ich in meiner Jugend exzessiv gehört habe. Den Song packe ich gleich auf die Newsletter-Playlist.
Und nun, über 10 Jahre später, höre ich diesen Song noch immer, aber es ist Design, was mich permanent im Alltag umgibt.
Einmal wäre da mein Daily-Design-Business. Mein Arbeitstag fängt um 8 Uhr an und gegen 17 Uhr klappe ich den Laptop wieder zu. Klassisch 9 to 5. In dieser Zeit dreht sich alles ganz intensiv um Design. Ich plane Design-Konzepte, erstelle Grafiken oder bin im kollegialen Austausch.
Jetzt ist es aber so, dass ich als Grafikdesigner auch außerhalb meines Schreibtisches, nicht aufhöre, über meine Arbeit nachzudenken. Ob beim Sport, auf dem Nachhauseweg oder beim Kochen. Mein Kopf hat keinen Aufnahmestopp, was z.B. das Finden von Ideen angeht.
Dabei geht es weniger um Projekte aus meinem regulären Job, sondern um Ideen oder kreative Impulse, die mir im Alltag zu random Themen begegnen. Hier eine Situation aus dem letzten Jahr, wo mir eine dieser Ideen begegnet ist:
Die Situation:
Eine Freundin und ich sind auf der Parade vom Christopher Street Day in München. Bestes Wetter, gute Stimmung und wir stehen am Rande des Festzugs. Viele Wagen fahren an uns vorbei, die von verschiedenen Vereinen, Organisationen und Firmen gesponsert werden.Der Impuls:
Als die ersten Fahrzeuge von großen Konzernen, bunt geschmückt, mit Pride Flags und passenden Slogans an uns vorbeifahren, werde ich stutzig. Vermehrt sind es große Firmen, die Pinkwashing betreiben. Hier die Definition, was das eigentlich bedeutet:
„Pinkwashing bezeichnet Strategien, die durch das Vorgeben einer Identifizierung mit der LGBT-Bewegung bestimmte Produkte, Personen, Organisationen oder Staaten bewerben, um dadurch modern, fortschrittlich und tolerant zu wirken.“ (Quelle: Wikipedia)Die Idee:
Mir sind Werte und Haltung sehr wichtig. Darum macht es mich wütend, wenn Konzerne, Firmen, Personen oder Künstler und Künstlerinnen, sich eine vermeintliche Haltung zu einem Thema aneignen, um Ansehen in der Öffentlichkeit zu generieren. Als die Wagen mit den Pride Flags an mir vorbeigefahren sind, ist mir eine Idee für ein Plakat gekommen, was den Begriff Pinkwashing visualisieren könnte.
Viele Unternehmen präsentieren sich im Pride Month stolz mit der Regenbogenfahne auf ihren Social Media Kanälen oder werben mit exklusiven, bunten Kollektionen für mehr Solidarität mit Menschen alternativer Orientierung. Doch bei genaueren hinschauen stellt sich raus, dass diese Kleidungsstücke teilweise in Ländern produziert wurden, in denen Homosexualität bis vor kurzem oder heute noch illegal ist. Mal nur um ein Beispiel zu nennen. Leider zeigen Unternehmen oft keine klare Kante, sondern sind eher so wischiwaschi, was ihre Haltung angeht. Und so kommt mein Visual zustande:Die ersten zwei Darstellungen verschmelzen zu einem Plakat. Um die Botschaft noch klarer zu kommunizieren, fügte ich noch eine kleine Zeile Text mit PINKWASHING hinzu.
Hinter jedem noch so kleinen Gedanken kann eine Idee stecken. Am Anfang ist es noch schwer diese Impulse im Alltag zu deuten und herauszukristallisieren, aber mit ein wenig Achtsamkeit und Routine wird es leichter. Jedoch ist es wichtig, diese Ideen sofort zu dokumentieren, da man sie im nächsten Augenblick schon vergessen kann.
Eine Möglichkeit der Dokumentation ist mit dem Handy. Nehme ich einer Idee wahr, öffne ich sofort meine Notiz-App auf dem Handy und schreibe die nötigsten Stichwörter auf, um mich später daran zu erinnern. Der Vorteil vom Handy ist, dass ich es so gut wie immer bei mir habe.
Zu einem späteren Zeitpunkt schaue ich mir die Stichwörter noch einmal an und erstelle die ersten Skizzen in meinem Notizbuch. Hier spiele ich mit der Idee, experimentiere mit der Darstellung, Layout, Format und Farben. Was ich am Arbeiten mit Stift und Papier liebe, ist, dass ich schnell viele Varianten zeichnen kann, für die ich am Computer dreimal so lange brauche. Natürlich gibt es Tablets, die das Skizzenbuch ablösen können, aber ich liebe die Haptik von Papier und dass ich mal nicht auf einen Bildschirm starren muss.
Mittlerweile fällt es mir schwer, nicht nach Ideen zu suchen. Auch der Einfall zur Entstehung dieses Newsletters ist mir Alltag begegnet. Beim Laufen, um genau zu sein. Ich sehe darin eine große Chance für Kreative, die tendenziell eher Angst vor Blockaden haben. Insofern gehe achtsam durch die Welt, nimm alles bewusst wahr, was um dich herum passiert und bleib neugierig.
Das oben gezeigte Plakat ist, wie auch dieser Newsletter, eine freie Arbeit, bei der mir der Prozess viel Freude bereitet und ich meine Ideen ohne Zweitmeinung, frei umsetzen kann. Über die Wichtigkeit von eigenen Projekten sprach ich bereits letzte Woche und ich fragte die Leser und Leserinnen dieses Newsletters, ob sie sich eine gesonderte Ausgabe zu diesem Thema wünschen.
Die Antwort war eindeutig ja. Daher gibt es nächste Woche die gewünschte Ausgabe über das Thema kreative Arbeit und wie wichtig dabei Herzensprojekte sind.
Jetzt möchte ich aber noch von dir wissen, in welchen Momenten du schon auf Ideen gestoßen bist? Hast du Tipps? Schreib mir gerne auf Instagram oder per Mail.
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Gemaltes Hack - Mittwoch ist und bleibt Hack-Tag. Wunderbare Illustrationen von Lina Ernst zur jeder Podcastfolge GEMISCHTES HACK.
🎧 On Repeat
Hier geht's zum Song auf Spotify, hier das Video (Live From Finsbury Park) und hier die Grotesk-Playlist.
Dieser Newsletter wurde am 19.02.2023 geschrieben. Heute vor drei Jahren kamen neun Menschen bei einem rechtsterroristischen Anschlag in Hanau ums Leben. Meine Gedanken sind bei den Hinterbliebenen, die bis heute auf eine lückenlose Aufklärung warten. Gegen das Vergessen, gegen das Verschweigen, gegen die Angst. Say their names:
Ferhat Unvar
Hamza Kurtović
Said Nesar Hashemi
Vili Viorel Păun
Mercedes Kierpacz
Kaloyan Velkov
Fatih Saraçoğlu
Sedat Gürbüz
Gökhan Gültekin